Weltweite Kritik an Transfergebarden
Kaufwut „zerstört Markt“: Chelsea wollte auch noch Amrabat – Eigengewächse fürchten Verkauf
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Die neuen Eigentümer des FC Chelsea um den US-Geschäftsmann Todd Boehly haben mit dem 611,5 Millionen Euro schweren weltweiten Ausgabenrekord auf dem Transfermarkt in einer Saison sowie zahlreichen langen Verträgen in ganz Europa für Aufsehen gesorgt. Die Konkurrenten jedoch sind verblüfft, weil sie keine Strategie hinter den Aktivitäten der Blues erkennen können. Und während sich die sportliche Leitung am Deadline Day bemühte, mit Enzo Fernández (22) den teuersten Zugang der Vereinsgeschichte über die Bühne zu bekommen, nahm Boehly das Telefon in die Hand und versuchte, noch einen anderen Spieler zu verpflichten.
Wie die „New York Times“ berichtet, wollte der FC Chelsea auch noch Marokkos WM-Fahrer Sofyan Amrabat (26) von der AC Florenz loseisen. Boehly persönlich sei der Personalie nach einer ersten E-Mail an die Fiorentina nachgegangen. Die Blues wollten den wie Fernández ebenfalls in der Mittelfeldzentrale beheimateten Amrabat zunächst ausleihen. Boehly habe jedoch eine prompte Abfuhr erhalten: Der Serie-A-Klub wollte den noch bis 2024 gebundenen Amrabat behalten. Lediglich ein fester Transfer gegen eine hohe Ablöse wäre eventuell erwogen worden.
Dem Bericht zufolge hat Boehly in dem Gespräch die Preisforderung der Fiorentina, die im zweistelligen Millionenbereich verortet wird, als unangemessen bezeichnet. Ein leitender Angestellter der Toskaner habe daraufhin gefragt, wie er sich fühlen würde, wenn ein anderer Verein am letzten Tag des Transferfensters erscheinen und versuchen würde, einen der wertvollsten Spieler des FC Chelsea billig abzuwerben. Das Gespräch und die Verhandlungen seien daraufhin abrupt beendet worden.
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Generell löst der Ausgabenrausch des FC Chelsea bei den Konkurrenten große Verwunderung aus. In Gesprächen mit der „New York Times“ konnten ein Dutzend Verantwortliche aus der Premier League und ganz Europa, die anonym bleiben wollten, keine Logik hinter Chelseas Vorgehen erkennen. Einige meinten demnach, dass die schiere Anzahl der Neuzugängen es schwer mache, einen klaren sportlichen Plan zu erkennen, der über den simplen Wunsch hinausgeht, die besten jungen Talente der Welt zu verpflichten – egal, was es kostet.
Weltweite Kritik an FC Chelsea: Kaufwut hat „den Markt zerstört“
Chelsea habe „den Markt zerstört“, wird ein Manager eines Top-Klubs von der US-Zeitung zitiert. Eine Einschätzung, die von LaLiga-Präsident Javier Tebas geteilt wird, der kurz nach Transferschluss urteilte, dass der englische Markt „gedopt“ sei. „Es ist ein Wettbewerb, der in den letzten Jahren Milliarden von Pfund verloren hat, finanziert mit Beiträgen von Mäzenen, in diesem Fall amerikanischen Investoren, die mit Verlust finanzieren.“
Liverpool-Trainer Jürgen Klopp urteilte auf einer Pressekonferenz vor dem anstehenden Premier-League-Spieltag hinsichtlich Chelseas Kaufwut: „Ich sage nichts ohne meinen Anwalt! Glückwunsch, wenn man das machen kann. Ich verstehe das nicht.“ Aus der Bundesliga meldete sich u.a. BVB-Sportdirektor Sebastian Kehl zu Wort. Es sei „sehr wild, muss man einfach sagen“, kommentierte der 42-Jährige beim Sender „Sky“. „Geld spielt dort keine Rolle. Wir müssen unser Geld hier auf eine andere Art und Weise einfach verdienen. Daher sind wir auch nicht in der Lage, solche Transfers umzusetzen.“ Dortmund müsse bei Verpflichtungen hingegen „noch schneller sein, wir müssen noch früher dran sein. Das macht es herausfordernd, aber wir schaffen es trotzdem.“
Auch in Reihen der Spieler sorgt das Vorgehen für Verwunderung. „Ich frage mich manchmal schon, wo das alles noch hinführen soll. Wir brauchen uns nicht wundern, wenn das Konsumprodukt Fußball für manche Fans irgendwann einfach nicht mehr so interessant ist – weil es sich eben von der Realität der Menschen entfernt“, kritisierte Maximilian Arnold (28) im Interview mit der Mediengruppe „Münchner Merkur/tz“. „Das hat mit Nachhaltigkeit wenig zu tun. Da fragt man sich schon, ob das Financial Fairplay nicht einfach nur eine Attrappe ist“, so Wolfsburgs Kapitän weiter. „Klar, es gibt immer mehr TV-Geld. Aber man muss doch trotzdem die Kirche im Dorf lassen. Chelsea hat sich im Vergleich dazu einfach den Kölner Dom aufs Gelände gestellt.“
Unter Vorbesitzer Roman Abramovich soll der FC Chelsea wöchentlich Verluste in Höhe von 1 Mio. US-Dollar (rund 910.000 Euro) gemacht haben, die lediglich durch regelmäßige Kapitalspritzen aus dem Privatvermögen des russischen Milliardärs gedeckt werden konnten. Wie Nachfolger Boehly die Finanzbücher ausgleichen will, ist angesichts des enormen Umfangs der bisher getätigten Investitionen in Spieler unklar.
Chelsea-Eigengewächse befürchten Ausverkauf im kommenden Sommer
Der bevorzugte Mechanismus ist bisher, teure Neuzugänge wie Fernández oder Mykhaylo Mudryk (22; beide Kontrakte bis 2031) sehr lange zu binden, um die Kosten in den Bilanzen über die Vertragslaufzeit verteilen zu können. Auf diese Weise kann Chelsea die Regeln des Financial Fairplay wohl einhalten, der Klub wurde aber im vergangenen September auf die 19 Vereine umfassende Beobachtungsliste der UEFA gesetzt. Der europäische Fußballverband möchte schon in Kürze nachjustieren, um das Schlupfloch zu schließen. Die UEFA plant die Begrenzung von Vertragslaufzeiten auf maximal fünf Jahre. Die angedachte neue Regelung soll noch vor dem kommenden Transferfenster im Sommer verabschiedet werden, berichtete „The Times“.
Zwar sei es unwahrscheinlich, dass Chelsea unmittelbar gegen die UEFA-Regularien verstößt, schreibt „The Telegraph“, allerdings steuere der Klub darauf zu. Der Verkauf von Jorginho (31; für 11,3 Mio. Euro) an den FC Arsenal kurz vor Transferschluss sei daher nur der Beginn einer auf Chelsea zukommenden Abgangswelle gewesen, die die Blues im Sommer treffen würde, vor allem, wenn die Londoner die Champions League verpassen. Der FC Chelsea liegt aktuell nur auf Platz zehn in der Premier League und hat zehn Punkte Rückstand auf die „Königsklassen“-Ränge. Im Achtelfinale der Champions League, deren Sieger sich ebenfalls für die nächste Ausgabe qualifiziert, wartet der BVB (15.02./07.03.).
Der britischen Tageszeitung zufolge befürchten vor allem die Eigengewächse Chelseas, dass sie auf der Verkaufsliste ganz oben landen könnten. Der Vorteil: Die Ablösen können in der Bilanz komplett angerechnet werden, da die Spieler von den Blues selbst ausgebildet und nicht für Geld verpflichtet wurden. Die Konkurrenz fragt sich hingegen laut „New York Times“, ob es für einen Verein mit einer der besten Akademien in Europa sinnvoll ist, seine Arbeit so offensichtlich sinnlos zu machen.
„The Telegraph“ nennt als Verkaufskandidaten etwa Conor Gallagher (22), Ruben Loftus-Cheek (27), Trevoh Chalobah (23) und auch Callum Hudson-Odoi (22), für den die Blues nach seiner Rückkehr von Bayer Leverkusen wahrscheinlich Anfragen prüfen würden. Abseits der Eigengewächse seien aber auch Hakim Ziyech (29), der nach seiner geplatzten Leihe zu PSG wieder bei Chelsea ist, Christian Pulisic (24), César Azpilicueta (33) und die zur Saison 2022/23 geholten Pierre-Emerick Aubameyang (33) und Kalidou Koulibaly (31) mögliche Kandidaten auf einen Abgang im Sommer.
Hinter Aufsteiger Nottingham Forest hat der FC Chelsea für die restliche Saison aber nunmehr mit 33 Spielern den zweitgrößten Kader in der Premier League. „Natürlich gibt es Herausforderungen, wenn man so viele Spieler hat“, sagte Trainer Graham Potter, „denn die meisten Spieler wollen spielen. Sie wollen spielen, auf dem Platz stehen und der Mannschaft helfen.“ Der Klub habe trotz der schlechten Ausgangsposition noch Ambitionen. „Das Potenzial dafür ist vorhanden. Deshalb sind wir aufgeregt, aber gleichzeitig muss man auch die Tatsache respektieren, dass ein Team erst zusammenfinden muss, dass wir zusammenwachsen müssen, dass wir arbeiten und von Tag zu Tag gehen müssen. Aber die Vorfreude darauf ist natürlich groß. Wir freuen uns über die Spieler, die wir hinzugewonnen haben, wir freuen uns über die Spieler, die von Verletzungen zurückkehren, und wenn man sich die Gruppe anschaut, dann ist es eine wirklich starke, wettbewerbsfähige Gruppe.“